DIE STADT

DIE STADT 

Durch diesen Weg ziehen die Zweifel, 
verlorener Sohn, mach dich nicht auf diesen Weg! 
Dorthin führen dich schmerzvolle Verfinsterungen, 
durch diesen Weg ziehen die Zweifel, 
die Zweifel ersticken deinen Verstand! 

Du verlierst unwiederbringlich an hellem Verstand, 
du weihst dich selbst dem Unheil, 
dort täuschen dich erstarrte Geister, 
durch diesen Weg verlierst du an hellem Verstand, 
mach dich nicht auf diesen Weg, armer Sohn! 

  

Ich beachtete innige Bitten nicht, 
ich machte mich auf in ferne Länder, 
ich brach auf – und siehe, eine ganze Welt liegt vor mir, 
eine ganze Welt lärmt vor mir.  

Man hört dumpfe Seufzer, erstickt, 
es dröhnt die heimatlose Nacht, 
es bitten unsittliche Frauen, verlassen 
in düsteren Abgründen ohne Führer.  

Ein Sturm zieht über der Stadt und den Dimensionen an, 
ein Sturm zerschlägt Absperrungen. 
Ich beachtete innige Bitten nicht, 
ich machte mich auf in ferne Länder. 

  

Es bebt die Erschöpfung der schläfrigen Stadt, 
und der Morgen, als Hoffnung und Erlösung, 
entfaltet seine azurblaue Bekleidung. 
Das Leben erwacht ewig jung, 
in den Seelen Heimatloser und Demütiger 
mit den Strahlen des ersehnten Trosts. 
Ich sehe einen Bruder in jedem Unbekannten, 
und unter der Menge, die um mich dröhnt, 
erhoben sich die ungeborenen Träume.  

Könnte ich in dieser Stadt bloß allein sein 
und die blassen Verlangen 
meiner armen Schwestern und Brüder ergreifen, 
sogar im leidvollen Geflüster des Regens, 
wenn der trostlose Abend dröhnt 
und seine Finger, flammend und eisig, 
an den vor Mühe Verhärteten festkrallt, 
dass ich ein Wächter Finsterer und Unsittlicher sei 
in der Stunde letzter Versuchungen. 

  

Zitternde Morgengrauen verkünden 
den Tag in der zerfallenen Stadt, 
die verschlafenen Mengen beleben 
den verschlafenen Marktplatz erneut. 

Und inmitten von Donner und Kummer 
wächst ihre Anzahl, 
sie sind viele – so viele 
wohin gehen sie?  

  

Des unaufhörliche Getöse des Lebens 
verschlingt und verändert sie schnell, 
sie sind Opfer der ewigen Wanderung 
nach fernen unbekannten Ländern. 

Der wiedergeborene Tag weckt sie, 
er wallt das weite Meer auf, 
dessen Name Not ist 
und in dem sich schändlich stirbt.  

Eine unnachgiebige Finsternis umstellt sie, 
sie sind Sklaven böser Dämonen, 
die helle Sehnsucht ihrer Seele 
wird der glühende Mittag nicht stillen.  

Und wenn nach täglichem Kummer 
sie die Nacht mit finsteren Schatten verflechtet, 
unüberschaubare Reihen, so viele, 
wohin werden sie hilflos gehen? 

  

Vor jüngstem Gericht 
gehen 
Massen, 
die Stadt 
schläft nicht, 
sondern brodelt.  

Auf ewigem Weg 
wimmeln 
einsam 
Finsternissen, 
es dröhnt 
die Stadt 

und nirgends ein Winkel 
um stehenzubleiben 
für einen Augenblick, 
gewaltig, 
gesichtslos 
die Stadt. 

  

Und jeden vergänglichen Tag, wenn der traurige Klang 
der Abendstunde sich sorgenvoll meldet 
und aufruft, fern von den Fabriksgebäuden, 
das arbeitsame Volk zu Rast und Schlaf, 
entfacht überall auf den weiten Plätzen, 
wo die Sonne ihr loderndes Feuer vergoss, 
das Leben der Leidenschaft und stürmischer Genüsse, 
weckte er draußen Jahrhunderte lang den Verkehr. 
Sterbensmüde halte ich in irgendeiner verstummten Ecke, 
den verfinsterten Tag verabschiede ich einsam, 
und sehe, schon auf seinem ewigen Weg wachend, 
den ruhigen Mond. 
– Still vergoldet er 
das leidvolle Antlitz des siedenden Fleischs. 

  

– O ihr Geister der Nacht, meine heimatlosen Brüder! 

Превод на немски: Мелани Грубер